Interview mit dem Künstler Helmut Brandt

Das Verschwindenlassen eines Textes im Bild ist das Spannende für den Künstler Helmut Brandt. Er schafft ästhetische Räume und Welten aus dem faszinierenden Erlebnis, dass es Schriften und Wahrheiten gibt, die man bis in die Vergangenheit hinein Schicht für Schicht aufrollen kann. Die Bilder des 1943 in Porta Westfalica geborenen Künstlers wollen dem Betrachter einen assoziativen Raum geben. Wir haben Helmut Brandt in seinem Atelier besucht und mit ihm ein Gespräch geführt.

helmut_brandt_atelierLieber Helmut, wie bist Du zur Kunst gekommen?

Nach der Schule, hatte ich ein wissenschaftliches Studium absolviert. Über Freunde lernte ich Erna Boulboullé kennen. Erna war meine Lehrerin und eine sehr wichtige Person für mich. In Bezug auf Kunst hatte ich kein Selbstbewusstsein, das hat sie mir gegeben.

Seit wann wusstest Du, dass Du Künstler werden willst?

Das wusste ich von Anfang an, doch mein Elternhaus war kleinbürgerlich. So haben meine Eltern immer gesagt : mach doch etwas Vernünftiges. Dem habe ich mich dann angeschlossen. Ich bin meinen Weg mit labyrinthischen Umwegen gegangen aber doch zielstrebig, weil ich eine ganz tiefe Motivation hatte.

Was war das für eine Motivation?

Meine Motivation war es, ästhetische Räume und Welten zu schaffen. Es hat mich immer wieder fasziniert, neue Wege und meine eigene Nische zu finden. Erst  habe ich figürlich gezeichnet und gemalt. Dann wurde mir Anfang der Achtziger
Jahre, als ich von einem längeren Aufenthalt in Lateinamerika nach Deutschland zurückkam, klar, dass ich etwas mit Schrift machen wollte.

Wie kam es dazu?

Es gab zwei Erlebnisse : einmal in Nicaragua. Nach der Revolution, gab es verwitterte Mauern, mit revolutionären Inschriften, die man kaum erkennen konnte. Das hat mich fasziniert.  Ich war immer wieder da und habe Fotos von diesen  Mauern gemacht.

Was war das andere Erlebnis?

Das andere war ein Initialerlebnis: ich sah eine Abbildung von einem alten Dokument, das einen sogenannten „Tintenfraßbefall“ hatte. Tintenfraß, der Horror aller Archivare, betrifft alte Papiere, die mit Tinte beschrieben worden sind. Unter bestimmten Verwitterungsprozessen zersetzt sich das Papier von dem Schriftzug ausgehend in das Umfeld und zerstört es großflächig. Es entstehen zum Teil Löcher und der Text verschwindet in diesen Löchern, sozusagen im Nichts. Das hat mich philosophisch sehr interessiert.

Wozu führten diese beiden starken Erlebnisse für Dich künstlerisch?

In der Kombination von beidem, von den Mauern und dem Tintenfraßkonzept im Hintergrund ist daraus die Idee geworden, eine Ausdrucksweise zu finden, in der die Schrift verschwindet. Beide Momente kamen vor dem Hintergrund des Begriffs „Palimpseste“ zusammen.

Was sind Palimpseste?

Man bezeichnet damit ein wiederbeschriebenes Pergament. Das habe ich versucht, nachzustellen.

Was für eine Technik verwendest Du für Deine Palimpseste?

Bei meinen Palimpsesten beginne ich mit einem farbig nuancierten Leinwandauftrag, auf dem ich mit einer verdünnten Latex-Milch schreibe. Über die Schrift sprühe ich wieder Farbe und wiederhole diesen Vorgang unter Umständen mehrmals. Zum Schluss rubbele, kratze oder schabe ich die Latex- Schriftnetze aus den Farbschichten heraus, so dass die Schriftzüge dort wieder hervortreten, wo durch die Latexmilch zuvor die Farbschichtungen abgedeckt waren.

Das ist also ein umgekehrter Vorgang, als es sonst üblich beim Schreiben ist?

Genau. Das, was als Schreibgrund erscheint, ist zuoberst, während die Schrift zuunterst liegt und erst aus den Farbebenen herausgearbeitet werden muss.

Wie bei archäologischen Grabungen?

Ja. Wichtig ist für mich in diesem Zusammenhang auch die Vorstellung, dass man niemals alles freilegen und wiederfinden kann. Ein Teil der „Text“- Informationen bleibt unwiederbringlich unter den Farbschichten zurück.

Später hast du auch angefangen mit der automatischen unbewussten Schrift zu experimentieren?

Ja. Ich habe beschlossen, meinen Weg als lebenslanges automatisches Schreiben zu definieren. Damit war mein Konzept geboren. Erst habe ich  Gedichte geschrieben, dann wollte ich das nicht mehr. Ich wollte dem Betrachter nicht mehr meine „message“ aufzwingen. Ich habe also versucht, den schreibmotorischen Prozess ohne Aussageabsicht zu imitieren.

Änderte sich der Charakter der Schrift mit der Zeit?

Ich  habe  festgestellt, dass im Laufe der Zeit und der Jahre einzelne Elemente verschwanden, andere dafür aufkamen. Das kann man sehen, wenn man ältere Bilder mit dem vergleicht, was ich heute mache.

Weshalb kam es zum Verschwindenlassen des Textes?

Das war die Richtung, in die ich gehen wollte. Für mich ist die Vorstellung unheimlich aufregend und spannend, dass die Information unter der Oberfläche ist, die man nicht mehr sehen kann, aber von der man weiß. Das ist wie ein vergrabener Schatz. Überhaupt hat für mich Schrift etwas sehr Wertvolles.

Auch wenn ich sie nicht lesen kann und auch wenn ich dabei keine Inhalte verbinde?

Alleine der assoziative Raum  ist der Reiz: dass da jemand war oder ist, der etwas Wichtiges mitteilen wollte, aber ich muss nicht unbedingt wissen, was das ist.
Allein die Tatsache, dass er etwas hinterlassen hat, was für ihn oder seine Zeit sehr wesentlich war.

Wem gegenüber willst Du Dich mitteilen?

Menschen, die sich auf diese Faszination von skripturalen Räumen einlassen. Aber nicht in dem Sinne, dass ich ihnen eine Botschaft geben will, sondern nur dass ich ihnen einen assoziativen Raum gebe.

Wovon lässt Du Dich inspirieren?

Von Graffitis zum Beispiel. Das Nicht- Professionelle, das Unprätentiöse zieht mich an.
Ich lasse mich zusätzlich von Ausstellungen inspirieren, vor allem vom Bereich der informellen Malerei.

In welche Richtung möchtest Du weitergehen?

Ich möchte ins Abstrakte: dass die Schrift ganz verschwindet, sich auflöst im Allgemeinen, das ist mein Ziel.


Vielen Dank für das Gespräch!
Dorothea Weisel

www.helmut-brandt.net

Arbeiten von Helmut Brandt können Sie im Rahmen der Ausstellung "Am Anfang war das Wort" Wortmalerei von Helmut Brandt und SAXA in der Galerie-Graf-Adolf betrachten. Die Ausstellung beginnt mit einer Vernissage am 06. November 2010 und endet mit einer Finisage am 18. Dezember 2010.

Ausstellungsinformation: Am Anfang war das Wort

Interview in PDF: Mülheimer Stimmen - Helmut Brandt

Galerie-Graf-Adolf
Graf-Adolf-Str. 18-20
51065 Köln-Mülheim

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