Geschrieben am . Veröffentlicht in Kolumne und Fiktion.

Opa über die Qual der Wahl!

erdbeereIch musste mich einmal entscheiden. Damals war ich ca. dreizehn Jahre alt und es belastete mich sehr, dass ich eine Wahl treffen sollte. Ich wollte mit meinem Freund Peter ins Ferienlager fahren oder mit meinem anderen Freund Luis am See zelten gehen.

Am liebsten hätte ich beides gemacht, doch die Zeiten überschnitten sich.
Also besuchte ich meinen Opa und fragte ihn um Rat.

„Was würdest du an meiner Stelle tun?“ , fragte ich ihn, in der Hoffnung er würde für mich die Entscheidung treffen.
„Nun Junge, das ist natürlich eine verzwickte Sache", antwortete er nachdenklich, ging in seinen Garten und pflückte Erdbeeren.
Toll, dachte ich damals, er kann mir also auch nicht helfen.
Nach einer Weile kam mein Großvater zurück. In der einen Hand eine Erdbeere, in der anderen einen Apfel.
„Wann pflückst du Erdbeere?“, fragte er mich. „Na jetzt.“
„Genau, denn nun sind sie reif und schmecken köstlich süß. Wir können sie Oma geben. Sie macht uns daraus eine leckere Erdbeertorte.“
Dann zeigte er mir den Apfel. „Willst du ihn probieren?“
„Nein, der ist doch noch viel zu sauer!“, antwortete ich verwundert.
„Genau, es ist noch nicht die richtige Zeit für unsere Äpfel. Sie müssen noch reifen, um dann süß und saftig zu sein.“
„Opa, ich habe dich vorhin gefragt, was ich machen soll?“, drängelte ich ihn. „Der Peter fragt mich schon die ganze Zeit, ob ich mitkomme?“
„Weißt du, oft ergeben sich Entscheidungen von ganz allein. So wie die Erdbeeren oder die Äpfel bestimmen, wann wir sie essen. Hast du denn überhaupt schon Mama und Papa gefragt, ob du allein mit deinem Freund am See zelten darfst?“
Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. „Nein.“
„Hast du sie denn gefragt, ob sie dir das Ferienlager bezahlen?“
„Nein.“ Antwortete ich nachdenklich.
„Dann solltest du das erstmal machen. Wenn du dich dann immer noch entscheiden musst...“, er hielt kurz inne, wie er es immer tat, wenn er überlegte. Sicher hatte mein Opa eine gute Strategie, wie ich mich entscheiden konnte.
„Tja, dann kannst du nur noch eine Münze werfen.“ ,antwortete er schließlich. Und wir mussten beide laut los lachen.
Wir setzten uns auf die Gartenbank und naschten ein paar von den Erdbeeren. „Weißt du, ich musste mich auch mal entscheiden. Ich hatte die Wahl in eine große Stadt zu ziehen und dort ein erfolgreicher Kunsthandwerker zu werden oder hier zu bleiben und in meines Vaters Tischlerei zu arbeiten. Ich wollte beides und auch wieder nicht.“
„Was hast du gemacht?“
„Wie du siehst bin ich hier geblieben. Ich habe deine Großmutter gerade kennen gelernt. Sicher wäre sie mit in die Stadt gezogen, doch als ich sie in diesem Garten sah, da war mir klar, dass sie hierher gehörte. Doch die Entscheidung quälte mich. Ich war jung und die Welt stand mir offen.“
„Hast du eine Münze geworfen?“, fragte ich neugierig.
„Nein. Das brauchte ich nicht. Ich fuhr in die Stadt und sah mir die Galerien an, die meine Arbeiten verkaufen wollten. Denn Kunsthandwerk verkauft man angeblich nur in einer Galerie, sagte man mir. Aber es war so laut und voller Menschen. Sie waren einfach anders als hier und der Gedanke in einem dunklen kleinen Kämmerchen zu arbeiten, gefiel mir überhaupt nicht. Also besuchte ich ein paar Freunde und sagte ihnen, dass ich meine Arbeiten bei mir ausstellen werde. Wer Interesse hat, kann gern vorbei kommen und gleich noch ein paar frische Kartoffeln mitnehmen.“
„Kartoffeln?“
„Ja. Die Leute aus der Stadt waren begeistert. Sie kamen zu uns aufs Land und kauften Möbel und freuten sich über frische Kartoffeln aus dem Garten. Das war der Renner schlechthin!“
„Und du hast Oma geheiratet.“
„Genau.“, er lachte, „Wenn du dich entscheiden musst, dann lass das Schicksal entscheiden oder finde einen anderen Ausweg. Das Leben ist viel zu kompliziert, als dass wir mit unserem kleinen Kopf die Dinge überblicken können.“

Ich brauchte keine Münze werfen. Ich musste noch nicht einmal meine Eltern fragen, denn Luis`s Mutter erlaubte ihm nicht am See zu zelten. Dafür kam er aber mit ins Ferienlager und wir drei hatten richtig viel Spaß.

von Ilka Baum

Foto: www.gratis-foto.eu