Interview mit dem Schauspieler Udo Kier

portrait_udo_kierKöln-Insight interviewte im Rahmen der Kunstfilmbiennale den gebürtigen Köln-Mülheimer Schauspieler Udo Kier, der mit 183 internationalen Filmen einer der weltweit bekanntesten Schauspieler ist.

Das ungeschnittene Originalinterview als Video Teil 1 - 4 (36 Minuten)

Hallo Herr Kier zur Kunstfilmbiennale 2009 in Köln. Für sie ist das hier ein Stück Heimat, weil sie in Köln geboren sind.
Köln, meine Heimat ist etwas Besonderes. Hier bin ich geboren, in einer nicht so positiven Zeit. Ich kam 1944, also im Krieg, zur Welt und die Zeit danach war wirklich schlimm. Man könnte ein Buch darüber schreiben.

Wie ist es heute für Sie, wenn Sie hierher kommen?
Köln ist immer wieder schön. Ich gehe in den Dom und stelle zwei Kerzen auf. Eine für die lebenden Freunde und eine für die toten Freunde. Und dann wandere ich durch Köln, denn es ist ein Wald der Erinnerungen für mich. Sowohl schöne, aber auch schlechte Erinnerungen.

Sie sind in Köln-Mülheim aufgewachsen. Steht denn ihr Elternhaus noch und sind  Kindheitserinnerungen übrig?
Ja, ich war neulich einmal da und habe versucht das Haus zu finden. Es war weg. Es stand auf der Düsseldorfer Str. 139 und ich war ganz irritiert. Ich bin mit dem Auto gefahren und plötzlich wusste ich gar nicht mehr, wo ich bin. Es war ein einfaches Haus mit einer Wasserstelle. Ich bin immer wach zur Schule gegangen, denn es war kaltes Wasser. Das Grab meiner Mutter ist auch weg. Also sind diese direkten Verbindungen zu Mülheim alle weg.

Hat sich bei ihnen schon früh heraus kristallisiert, dass sie schauspielerisches Talent haben? Können Sie sich daran noch erinnern?
Es war so, dass in unserem Haus drei Familien lebten. Meine Mutter hatte zuerst einen Fernseher und einen Schallplattenapparat. Es war ein ganz einfaches Gerät und wir hatten eine Schallplatte. Das war Katharina Valente „Ganz Paris träumt von der Liebe“ Das lief, wenn Besuch kam, den ganzen Tag. Ich habe das dann in den viel zu großen Schuhen meiner Mutter gesungen und performt.  

Sie haben zusammen mit Ed Lachmann den Kurzfilm: „The last Trip to Harrisburg“ gemacht, indem Sie Bibeltexte als einen Dialog rezitieren. Wie ist dieser Film damals entstanden?
Das war so. Eigentlich wollte Herr Wondratschek einen Film mit mir machen und hatte Ed Lachmann als Kameramann engagiert. Zwei Tage vor Drehbeginn sagte er den Dreh, mit folgenden Worten ab: „Es ist genauso wichtig den Film zu machen, oder wenn man ihn auch nicht macht.“
Dann gab er mir das gesamte Material, das er hatte und ich sagte zu Ed: „Let`s make a movie!“

Wie sind Sie dann auf Harrisburg und die Bibeltexte gekommen?
Im März 1979 ereignete sich bei Harrisburg der bis zu diesem Zeitpunkt größte bekannt gewordene Unfall in einem Kernkraftwerk. Das war damals in allen Medien und beschäftigte uns. Ich habe mir vorgestellt, wie das für einen Soldaten oder eine Frau sein musste, wenn sie in die Vernichtung fahren. Ein innerer Dialog ist nicht so fotogen. Daher ist es ein Dialog geworden.
Ich wollte eigentlich einen anderen Text nehmen. Doch Fassbinder riet mir damals davon ab, weil ich wohl Probleme mit den Rechten bekommen hätte. Also haben wir uns eine Bibel gekauft und Sätze daraus entnommen. Man glaubt die Bibel sei ein gutes Buch, aber es ist wie ein großer Krimi. Wir haben eine Collage gemacht. Wir haben einen Zugwaggon gemietet und haben in zwei Tagen gedreht. Ich spiele einen US – Soldaten und wir engagierten eine blonde Schauspielerin vom Typ Marlene Dietrich. Danach haben wir das Ganze synchronisiert und die Bavaria blieb als einziger Förderer übrig.
Ich bin froh mit Ed Lachmann diesen Film hier in meiner Heimatstadt Köln zu präsentieren.

Sie spielen ja meistens etwas böshaftere Rollen. Gibt’s da was Böses in Ihnen?
Nein gar nicht. Für jeden Schauspieler ist es reizvoller das Böse, als das Gute zu spielen. Das Gute, erwarten wir von jeder Person, jeden Tag. Das Böse ist No Limit. Von daher ist Dracula oder Frankenstein, phantasievoller. Ich kann viel mehr darstellen. Aber ich spielte z.B. im Kölner Tatort vor zwei Wochen einen Penner oder in einem anderen Film einen Schauspiellehrer.
Dafür bekomme ich auch meist die besseren Kritiken, weil die Leute das nicht von mir gewohnt sind. Sie sagen, „Ach der kann auch anders.“ Letztendlich ist der Schauspieler ist so gut, wie die Rolle ist.

Wie sehen Sie ihre Arbeit im Rückblick?
Das Internet sagt, ich habe 180 Filme gemacht. Ich sage, davon sind hundert schlecht, fünfzig sind O.K. und dreißig sind gut. Ich finde das ist ein guter Schnitt, wenn man sagen kann, ich habe dreißig gute Filme gemacht. Schauspieler müssen nun einmal auch einen Swimmingpool oder die Elektrik bezahlen.
Es macht mir einfach Spaß einen Vampir zu spielen, es macht mir überhaupt Spaß zu spielen. Weil ich mich dann ganz auf meine Welt konzentriere, und auf das was ich erzählen möchte.  Es ist außerdem ein Dokument, was existiert und mich überleben wird.
Wissen Sie die Zeit ist die Sünde. Alles was man macht, nimmt ein Stück meiner Lebenszeit. Und diese ist nun mal begrenzt.

Sie sind sehr lange in dem Filmbusiness. Wie hat es sich im Laufe der Zeit verändert?
Zu viel Technik. Wenn ich mir Copolas Dracula anschaue…das berührt mich nicht mehr. Es ist eine so perfekte Technologie. Das Blut kommt aus der Wand u.u.u. Das ist wie Fotografie. Wenn ich einen Fototermin als Schauspieler habe, dann sagen sie, ach das machen wir schnell und bearbeiten das später. Man muss einfach nur da sein und alles andere wird später gemacht. Es ist egal, wie man aussieht, denn es wird alles mit dem Computer bearbeitet. Deswegen liebe ich die italienischen und die französischen schwarz/weiß Filme. Weil da auch kein komerzieller Druck dahinter steht.

Wie unterscheiden sich amerikanische von europäischen Filmen?
In Amerika werden Filme gemacht, wie Waschmaschinen. Das erste, was mir mein Agent sagte, als ich in Amerika ankam, war „Mit Kunst macht man kein Geld. Bitte erwähne nicht dass du Kunstfilme mit Fassbinder,  Wim Wenders oder Herzog machst.“
Wenn man das weiß, ist das wunderbar. Dann kann ich mich darauf einstellen.
Wenn man auf einen Berg steigen möchte und weiß, wie hoch er ist, kann man sich ja überlegen, ob man hoch steigt oder ob man es lässt und lediglich ein Foto von dem Berg macht.

kier_lachmann_interveiwWürden Sie sich wünschen, dass Kunstfilme mehr in den Vordergrund treten?
Deswegen bin ich hier. Weil man mir gesagt hat, welche Filme hier laufen. Ich bin müde von diesen ganzen amerikanischen Filmen. Es ist purer Kommerz. Diese Unterhaltungsindustrie. Ich bin ja auch dabei. Ich liebe Armageddon.
Hier auf der Kunstfilmbiennale kenne ich dagegen fast niemanden (außer die Filme von Herrn Lachmann). Das sind alles neue Leute, junge Leute. Mich interessiert als Schauspieler z.B. wie in Korea, Vietnam, Portugal oder Indien der Zeitgeist im Film verarbeitet wird. Ich möchte Filme sehen. Auf so einem Festival sieht man Filme, da frage ich mich woher haben die das Geld bekommen? Es gibt so viele gute Ideen, nur ist es schwer für sie Geld zu bekommen.

Wie war das zu der Zeit, als Sie „The last Trip to Harrisburg“ machten?
Der Unterschied ist, dass früher die Filmemacher keinen Stress hatten. Sie wurden gefördert vom Fernsehen oder von Staatlichen Filmstiftungen. Sie hatten nicht diesen Druck, dass der Film erfolgreich werden muss. In Amerika gibt es so etwas wie staatliche Förderungen gar nicht. Wenn ein junger Regisseur einen Film dreht und er zeigt ihn den Produzenten und er gefällt denen nicht, dann wird er neu gedreht.
Brad Pitt, Angelina Jolie oder Bruce Willis, warum verdienen die so unverschämt viel Geld? Weil sie ständig in der Presse vertreten sind. Es gibt Schauspieler die sind viel besser, nur die kennt keiner und es geht keiner ins Kino.

Wie ist das bei Ihnen, welche Art der Filme mögen sie lieber?
Ich brauche beides. Ich brauche den großen Armageddon Film, aber ich brauche auch einen kleinen Lars von Trier - Film in Dänemark.

Welchen Stellenwert hat ihre Arbeit für Sie?
Film ist sehr wichtig in meinem Leben, doch Film ist nicht mein Leben.

Was ist denn ihr Leben?
Es ist dieser Zustand, dass ich froh bin morgens aufzustehen, mein Gehirn funktioniert noch und ich kann ans Telefon gehen und Hallo sagen. Wenn du älter wirst und ein bewegtes Leben geführt hast, dann kommst du zum Wesentlichen zurück. Ich pflanze Bäume und liebe es. Und ich pflege sie! Ich koche gern für Freunde. Ich gehe auf den Markt und rieche die Tomaten. Das ist wichtig.

Was sind ihre neuen Projekte?
Als Nächstes läuft ein Film an. Es ist eine Kölner Produktion und hat in Luxemburg Premiere. Er heißt „House of Boys“ und es geht um junge Menschen in einem Club. Er spielt in der Zeit als Aids nach Deutschland kam und zeigt wie die Menschen damit umgegangen sind. Es geht weiter. „Tomorrow is another day. - Morgen ist ein anderer Tag.“

Vielen Dank für das Gespräch

(Auszug aus dem Interview mit Udo Kier und Ed Lachmann zur Kunstfilmbiennale 2009)
Sabine Teichmann, Dirk Conrads

Beitrag zur Kunstfilmbiennale: Video

 


 

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