Ich schätze gute Geschichtenerzähler. Diesen Geschöpfen könnte ich stundenlang zuhören. Natürlich ist die entscheidende Frage, was ist eine gute Geschichte? Eine gute Geschichte ist für mich die Darstellung eines Ereignisses, das jemand beschreibt und dabei seinen Erfahrungsschatz so mit einwebt, dass der Zuhörer unterhalten wird und gleichzeitig ein Stück Lebensweisheit angeboten bekommt. Eine gute Geschichte wirkt in mir nach und kann meine eigene Haltung zu einem Thema humorvoll oder ernsthaft infrage stellen oder verstärken, ohne zu massiv Einfluss zu nehmen, was meistens Widerstand oder Unwillen erzeugt. Leider höre ich selten so gute Geschichten. Vielleicht liegt es daran, dass unsere kulturelle Prägung in dieser Sparte in großen Teilen generationsbedingt den Medien überlassen wurde. In meiner Generation galt das Vorlesen von Märchen oder Abenteuer-Geschichten als Ausdruck von Zuwendung und hatte hohe pädagogische Ziele. In der heutigen Zeit scheint es, als seien Märchenerzähler Exoten, die aus der Zeit gefallen sind. In den Naturvölkern dieses Planeten gelten Geschichtenerzähler nach wie vor als besonders ehrenwert und genießen hohes Ansehen. Sie transportieren wichtige seelische Botschaften durch Märchen und begleiten die nächste Generation traditionsbewusst mit einer Fülle von Erfahrungsberichten durch die Gezeiten der Jugend. Ich übe das jetzt einfach mal mit den guten Geschichten, vielleicht hört mir ja jemand zu?

Regina Nußbaum